DKV-Tagung

In-situ-Auslegemethode
für Kapillaren

 

Nomenklatur

Abkürzungen / Einheiten

GF: Gefrierfach

KF: Kühlfach

sl/min: Durchfluss mit Stickstoff in Standardliter* pro Minute durch die Kapillare bei Eintrittsdruck 9.81 bar abs und freiblasender Austritt. *Referenztemperatur 20 °C

Kurzfassung

Beim Kältekreis von Massenprodukten wie Haushaltskühlschränken und Klimageräten ist die Kapillare als Drosselorgan in der Regel die erste Wahl. Bislang geht dieser Entscheid mit einem erhöhten Entwicklungsaufwand einher, da die Auslegung der Kapillare nicht trivial ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das verbundene System über einen breiten Arbeitsbereich zuverlässig und effizient funktionieren soll. Während des Entwicklungsprozesses kann das System beispielsweise mit einer auswechselbaren Kapillarsektion ausgestattet sein. In der Praxis weisen die bekannten Methoden jedoch Nachteile auf wie signifikante Füllmengenänderung, schwieriges Handling, lange Rüstzeiten oder hoher Bedarf an Infrastruktur.

Diese Publikation stellt eine neuartige In-situ-Methode zur Auslegung und Verifikation der Kapillare vor und demonstriert deren Einsatz an zwei Beispielen aus der Praxis. Ersteres wendete die Methode an, um Auswirkung von Kapillarentoleranzen auf das Betriebsverhalten eines Kühlschranks zu ermitteln. Es handelt sich hierbei um einen Test, welcher ohne den vorgestellten Ansatz kaum belastbare Ergebnisse liefern könnte. Am zweiten Beispiel wird die klassische Anwendung des Equipments zur Spezifikation der Drosselkapillare in einem Kleinkältekreis mit brennbarem Kältemittel veranschaulicht. Dank der neuen Methode wurde die Ermittlungszeit um circa Faktor 5 reduziert.

1. Einleitung

Meist mehrere Meter lang, mit einem Innendurchmesser von weniger als einem Millimeter: Die Kapillare ist als Drosselorgan eine Kernkomponente im Kältekreis und genauso wichtig wie der Kompressor. Sie trumpft mit attraktiven Eigenschaften auf: Das Rohr ist kostengünstig, arbeitet passiv, ist robust und gut reproduzierbar. Durch seinen Druckabfall stellt es im Kältekreis auf simple Weise das benötigte Niveau der Verdampfungstemperatur und den Kältemittelmassenstrom ein.

Die Modellierung der physikalischen Vorgänge in der Kapillare während deren Durchströmung mit dem Kältemittel ist hochkomplex. Bisher ist es nicht möglich, mit einer allgemeingültigen Korrelation die benötigten oder gewünschten Parameter für eine Kapillare in zufriedenstellender Genauigkeit zu berechnen.

Sobald das Kältemittel in flüssiger Form in die Kapillare eintritt, entsteht in Fliessrichtung ein Druckabfall. Dieser führt schliesslich zum Übertritt des Kältemittels in den Zweiphasendom. Es bilden sich Gasblasen, welche die Strömungsgeschwindigkeit erhöhen und zu weiterem Druckabfall führen, wodurch die Gasblasenbildung weiter zunimmt. Das ist eine Selbstverstärkung, die erst beim Austritt aus der Kapillare endet.

Bei der Berechnung dieser Zustandsänderungen wird man mit den Themen Fanno-Kurve, Überschallströmungen, Flow Regimes und deren Änderung konfrontiert. Das mitzirkulierende Öl bleibt dabei noch gänzlich unberücksichtigt.

Es gibt empirische und semi-empirische Modelle, welche in gewissen Grenzen angewendet werden können, aber ungültig werden, wenn sich die Randbedingungen ändern. Wird in der Praxis – und dies kommt in den meisten Fällen noch vor – ein interner Wärmetauscher integriert, dann scheitert auch das aktuell beste Modell.

Für einen effizienten Entwicklungsprozess ist dies eine höchst unbefriedigende Ausgangslage, denn dieser ist auf die experimentelle Ermittlung der Kapillarenparameter im Sinne von Länge und Innendurchmesser angewiesen. Die Restriktivität der Kapillare hängt stark von der Kältemittelfüllmenge ab. Selbst wenn eine Unterkühlung sichergestellt ist, erzeugt eine zusätzliche Füllmenge einen höheren Kondensationsdruck, woraus eine Erhöhung des Massenstroms und der Verdampfungstemperatur resultiert.

Kältekreise mit einer eingebauten Kapillare sind in der Regel sehr kompakt. Bei einem Kühlschrank befindet sie sich sogar mehrheitlich eingeschäumt in der isolierenden Kavität zwischen Innenraum und Aussengehäuse. Darüber hinaus ist die Füllmenge solcher Kältekreisläufe sehr gering. Es ist aus verschiedensten folgenden Gründen nicht praktikabel, die Kapillare iterativ durch Ein- und Ausbau von unterschiedlichen Längen und Durchmessern zu ermitteln. 

  • Die konsistente Kältemittelfüllung fehlt.

  • Neubefüllung des Kältekreises nötig (Schwierigkeit mit Kältemittel im Öl).

  • Gefahr von Verstopfungen im Kreislauf.

  • Gefahr von Undichtheiten im Kältekreislauf.

  • Die Zugänglichkeit ist schwierig oder nicht gegeben.

Ebenso ist es schwierig, wenn mehrere Geräte mit unterschiedlichen Kapillaren ausgestattet werden.

  •  Bei einem hohen Betreuungsaufwand ist eine hohe Testinfrastruktur nötig.

  • Es gibt Unterschiede in den Messungen aufgrund von anderen Toleranzen im Fertigungsprozess.

    • Kältekreiskomponenten

    • Gehäuseisolation

    • Einzelteile

    • Regelung

  • Es gibt Unterschiede in den Messungen aufgrund von Toleranzen der verwendeten Sensoren.

Eine gängige Hilfe im Entwicklungsprozess ist die Integration von speziellen Drosselsektionen in den Funktionsmustern. Solche Sektionen weisen in der Flüssigkeitsleitung beispielsweise einen Verteiler auf, an welchem verschiedene Kapillaren in den einzelnen Zweigen angebracht sind. In jedem Zweig befindet sich ein Ventil. Über die Schaltstellungen der Ventile können unterschiedliche Kapillaren aktiviert oder parallelgeschaltet werden. Dieser Ansatz erhöht die Systemfüllmenge signifikant. Es kann aber gleichzeitig keine Füllmengenbestimmung mit dem Funktionsmuster durchgeführt werden. Ebenso können interne Wärmetauscher die thermische Kopplung der Kapillare mit einer anderen Leitung nur eingeschränkt abbilden.

Die Einschränkungen diesbezüglich resultieren aus dem Umstand, dass jeder Kapillarzweig mit dieser Leitung gekoppelt werden müsste. Abgesehen von der möglichen Beeinflussung des aktiven Zweigs durch die inaktiven Zweige, ergibt sich bei einer solchen Umsetzung auch ein geometrisches Problem.

Bild 1: Beispiele von Drosselsektionen mit Verteiler (links: Xiande [1], rechts: An et al. [2])


Aus der Literatur ist auch die Methode mit segmentweiser Verlängerung der Kapillarlänge bekannt. Dabei werden Kapillarsegmente mittels T-Stücken und Ventilen aneinandergereiht. Jedes T-Stück führt zu Druckabfällen, die nicht der Realität eines Kapillarrohrs entsprechen: Das Kältemittel expandiert in eine Kavität hinein, welche sich dann wieder in das nächste Kapillarsegment verjüngt. Spätestens nach Erreichen der Schallgeschwindigkeit finden so signifikante Druckabfälle statt. Die segmentierte Kapillare wird so wesentlich restriktiver als eine Einrohr-Kapillare mit derselben Gesamtlänge sein. Mit diesem Ansatz ist es dafür möglich, einen internen Wärmetauscher auszubilden.

Bild 2: Beispiele von segmentweisen Verlängerungen der Kapillare (links: Qiao et al. [3], rechts: Zhang [4])

2. Das Kapillartool

Die In-situ-Auslegemethode für Kapillaren basiert auf der Integration eines besonderen Werkzeugs zwischen Filtertrockner (Flüssigleitung) und Verdampfereintritt. Dieses Werkzeug, welches folgend "Kapillartool" genannt wird, ermöglicht es, mehrere Kapillardurchflüsse in einem System anzuwählen, dies bei minimaler Füllmengenbeeinflussung und der Möglichkeit, einen internen Wärmetauscher zu integrieren.

Das Kapillartool besteht aus verschiedenen Teilstücken. Es bildet sich aus einem Einlass- und einem Auslasssegment (E und A), zwischen denen sich eine mechanische Konstruktion, bestehend aus einem Fixteil und einem Schieber, befindet. Am Fixteil kann eine gewisse Anzahl von Kapillarsegmenten (1..x) angeschlossen werden. Der Schieber und das Fixteil bilden im Inneren Strömungskanäle aus, welche die Kapillarsegmente miteinander in Reihe verschalten. Ein wählbarer Relativversatz von Fixteil zu Schieber entscheidet über die Anzahl der Kapillarsegmente, die zwischen E und A in Reihe geschaltet werden.

Mit dem Kapillartool lassen sich damit x Restriktionslevel (Stufen) der Drosselsektion einstellen. Die Charakteristik der x Stufen wiederum ist durch die Auslegung (Längen und Innendurchmesser) der Einzelsegmente bestimmt. Das Kapillartool ist damit für den individuellen Zweck konfigurierbar.

Da die internen Kanäle innerhalb von Fixteil und Schieber in einem Innendurchmesser gefertigt sind, der in der Regel +/-0.05 mm dem Durchmesser der angeschlossenen Kapillarsegmente entspricht, werden Zwischenexpansionen verhindert. Somit ist der Unterschied von Kapillartool zur finalen Kapillare und die Beeinflussung der Systemfüllmenge minimal.

Tabelle 1: Aufbau des Kapillartools

 

Bild 3: Veranschaulichung des Kapillartools auf Stufe 1

 

Bild 4: Veranschaulichung des Kapillartools auf Stufe 3

Unter der Annahme einer exemplarischen Bestückung des Kapillartools mit den Segmenten gemäss Tabelle 2 wird ersichtlich, wie der Kapillardurchfluss in-situ von 3.3 – 7.8 sl/min über 7 Stufen variieren kann.

Tabelle 2: Exemplarische Segmentkonfiguration für einen breiten Variationsbereich

In diesem Beispiel würde das Tool unterschiedliche Segmentlängen am Fixteil aufweisen und einen sehr breiten Durchflussbereich abdecken können (Bild 5). Dabei entspräche der Durchfluss von 5.2 sl/min auf der Stufe 4 dem vom Entwickler kalkulierten oder anvisierten Zieldurchfluss, welcher aber noch von -37 bis +45% verändert werden kann. Das Segment E wird bewusst mit einem etwas grösseren Innendurchmesser ausgeführt, um eine praktikable Segmentlänge für die Realisation eines internen Wärmetauschers zu erreichen. Mit zunehmender Näherung zum Verdampfer dürfen sich die Segmentinnendurchmesser reduzieren. Sie sollten sich aber idealerweise nicht mehr erhöhen, um das Risiko von Zwischenexpansionen zu minimieren.

Bild 5: Variationsbereich des Kapillartools nach Tabelle 2

Die Konfiguration nach Tabelle 2 ist in einem sehr frühen Stadium im Entwicklungsprozess denkbar, um den bis dahin praktisch unbekannten Soll-Kapillardurchfluss einzugrenzen. Trotz des breiten Durchflussbereichs ist die Füllmengendifferenz zwischen Tool und der finalen Kapillare sehr klein. Angenommen, der Durchfluss auf Stufe 4 (5.2 sl/min) mit einer Kapillare im Serienprodukt wird umgesetzt, dann würde diese Kapillare bei einem Innendurchmesser von 0.7 mm eine Länge von rund 3.1 m aufweisen.

Das Innenvolumen des Kapillartools in obiger Konfiguration beträgt ca. 3.9 cm3, dasjenige der finalen Kapillare lediglich 1.2 cm3. Die Füllmengenberechnung in der Kapillare inklusive internem Wärmetauscher ist komplex. Doch bereits mit einer vereinfachten Rechnung erhält man ein Gefühl für den immer noch geringen Füllmengeneinfluss unter der Verwendung des Kapillartools. Den signifikantesten Einfluss hat die Einlassstrecke der Kapillare, wo das Kältemittel noch in flüssigem Zustand vorliegt. Unter der Annahme, dass 1/3 des Gesamtvolumens mit Flüssigkeit (Dichte 0.5 g/cm3) gefüllt ist, ergibt sich ein Unterschied von rund 0.4 g.

Die Konfiguration des Tools erfolgt mit Hilfe eines hauseigenen Berechnungsprogramms, mit welchem alle Segmente theoretisch festgelegt werden. Am angefertigten Kapillartool wird dann in einem Kapillarprüfstand für jede Stufe der Durchfluss unter den vom Kunden geforderten Bedingungen gemessen und gegebenenfalls werden die Segmente so nachjustiert, dass das Tool der Soll-Charakteristik entspricht. Aktuell prognostiziert die Berechnungshilfe von ThermodynamX den Durchfluss pro Stufe mit Abweichungen von +/- 5% zur Realität. Die Genauigkeit der Software kann mittels Rückführung der Messdaten verbessert werden.

3. Anwendung des Kapillartools in der Praxis

3.1  Einfluss der lieferantenseitigen Durchflusstoleranz von Kapillaren auf das System

Haushaltskühlschränke müssen den höchsten Effizienz- und Marktanforderungen gerecht werden. Regularien fordern eine schrittweise Effizienzsteigerung, während der Kunde nur bedingt mehr Geld für effizientere Haushaltsgeräte ausgeben möchte. In diesem Spannungsfeld zwischen qualitäts- und herstellkostenbewusster Entwicklung und Produktion werden die kumulierten Toleranzen zur Herausforderung. Die Effizienz wird von geometrischen Toleranzen der Geräteeinzelteile und -baugruppen (z.B. Spaltmassen), von den verschiedenen Komponententoleranzen (bspw. Kompressoreffizienzen), von den relativen Füllmengentoleranzen (hervorgerufen durch die Genauigkeit der Befüllanlage) oder von den Volumentoleranzen der Kältekreiskomponenten beeinflusst, um nur einige Beispiele zu nennen.

Eine Monte-Carlo-Simulation zeigte auf, dass unter den verschiedenen Einflussfaktoren die Kapillare signifikante Wirkung auf den Energieverbrauch des Kühlschranks hat. Im zugrundeliegenden Kühlschrankmodell wurde für die Berechnung die Variation der Kapillare via variable Überhitzung ausgedrückt (Bild 6: Bless und Vetsch [5]).

Bild 6: Einfluss der Kapillare auf die Energieaufnahme anhand einer Monte-Carlo-Simulation

Die Kapillare wird standardmässig vom Lieferanten mit einer Durchflusstoleranz von +/-5% geliefert. Mit den bisherigen, einleitend erwähnten Methoden war es nicht möglich, den alleinigen Einfluss dieses Toleranzfeldes auf die Effizienz des Kühlschranks zu messen. Es war weder möglich, eine belastbare Datengrundlage zu schaffen, mit welcher die Mehrkosten einer engeren Durchflusstolerierung hätten begründet werden können, noch war sicher, ob die aktuelle Toleranz für eine hohe Fertigungssicherheit ausreichend ist. 

Es wurde daher zusammen mit der V-ZUG Kühltechnik AG ein Kapillartool konfiguriert, welches den Nenndurchfluss und einen Bereich von ca. +/5% dazu abbildete. Dieses wurde in einen einkreisigen (ohne Kapillarumschaltventil) Kühlschrank mit Kühlfach (KF) und innenliegendem Gefrierfach (GF) eingebunden. Einfachheitshalber wurde das Gerät mit einem Fixdrehzahlkompressor ausgestattet. Das Kältemittel wird über die Kapillare in den GF-Verdampfer eingespritzt und strömt anschliessend in den seriell nachfolgenden KF-Verdampfer. Die KF-Temperatur wird geregelt und die GF-Temperatur ergibt sich passiv.

In Bezug auf das Kapillartool war zu berücksichtigen, dass sich der Filtertrockner, an welchem das Einlasssegment startet, im Sockel des Kühlschranks befindet. Das Segment E wird daraufhin im Gegenstrom der Saugleitung entlang verlegt, und damit wird ein interner Wärmetauscher realisiert. Die Konstruktion aus Schieber und Fixteil mit den 5 Kapillarsegmenten ist dann im oberen Bereich des Kühlschranks, ca. 1.5 m über Boden, angebracht. Damit genügend physikalische Länge vorhanden war, musste E mit einem Innendurchmesser von 0.7 mm ausgeführt werden. Die Auslassstrecke A führte dann zur Einspritzstelle des untersuchten Kühlschranks.

Die Konfiguration nach Tabelle 3 ermöglicht es, den Durchfluss mit Zwischenstufen von -5.2 bis +6.5% Änderung zu Nenndurchfluss (Stufe 3, 3.68 sl/min) zu variieren.

Tabelle 3: Konfiguration des Kapillartools für den Anwendungsfall "Fertigungstoleranz"

Bild 7: Messung der Konfiguration nach Tabelle 3

Aus verschiedenen Gründen wird das Endresultat der Untersuchung nicht abschliessend präsentiert. Zum einen befinden sich Messungs- und Berechnungspraktiken für die Ermittlung des Normenergieverbrauchs von Haushaltskühlschränken in einer Umstellungsphase, wobei für diesen ersten Test noch gemäss "alter Norm" gearbeitet wurde. Und zum anderen sind Details der Resultate und Schlussfolgerungen ein geschütztes Know-how der V-ZUG Kühltechnik AG.

Die Daten eines Kühlzyklus zeigen aber einen messbaren Einfluss der Durchflusstoleranz der Kapillare auf die mittlere Leistungsaufnahme des untersuchten Geräts (Bild 8). Mit sinkendem Kapillarendurchfluss sinkt erwartungsgemäss auch die Temperatur im Gefrierfach. Die Kapillare senkt das anliegende Temperaturniveau am Verdampfer, weshalb damit mehr Kälteleistung auf den Gefrierfachverdampfer entfällt. Der Regler, der die Kühlfachtemperatur überwacht, muss den Kompressor daher länger betreiben, damit derselbe Energieentzug aus dem Kühlfach stattfinden kann.

Bild 8: Einfluss der Durchflusstoleranz auf die mittlere Aufnahmeleistung eines Kühlzyklus (Messwerte bei -3% und +3% noch ausstehend)

Dass die elektrische Aufnahmeleistung bei 0% ein Minimum zeigt, bedarf einer näheren Betrachtung anhand Bild 9 und Bild 10. Bei einem Fixdrehzahlkompressor ist das Verhalten der elektrischen Leistungsaufnahme erwartungsgemäss bei grösserem Kapillardurchfluss höher. Ebenfalls ist deutlich ersichtlich, wie der Kompressor bei kleinem Durchfluss eine längere Laufzeit aufweist, um den Sollwert im Kühlfach aufrecht zu erhalten. Weit weniger deutlich ist die kürzere Laufzeit bei der höheren Durchflusseinstellung.

Bild 9: Verlauf der Leistungsaufnahme bei verschiedenen Durchflüssen bei Sollwert Kühlfach 6°C

Im nachfolgenden Bild 10 sind die Eintrittstemperaturen am Kühlfach- und Gefrierfachverdampfer, korrespondierend zu Bild 9, ersichtlich. Bei kleinerem Durchfluss liegt die Eintrittstemperatur am Gefrierfachverdampfer (GF_ein) am tiefsten, jedoch dauert es am längsten, bis auch diejenige des Kühlfachverdampfers (KF_ein) absinkt und das Kühlfach mit genügend Temperaturdifferenz kühlen kann. Auf der höchsten Durchflussstufe sinkt KF_ein im Vergleich zur Basisstufe nicht signifikant früher ab, weshalb sich die Laufzeit nur geringfügig unterscheidet. Der Grund für dieses Verhalten liegt vermutlich in einer schwindenden Unterkühlung und muss im Rahmen weiterer Messungen untersucht werden. Dennoch kann festgehalten werden, dass dieser Kältekreis mit einem Fixdrehzahlkompressor sensibel auf Toleranzschwankungen des Kapillardurchflusses mit messbaren Auswirkungen hinsichtlich Energieeffizienz reagiert. Inwiefern ein drehzahlvariabler Kompressor diese Effekte beeinflusst, bleibt Gegenstand künftiger Untersuchungen.

Bild 10: Temperaturverläufe von Gefrierfach- und Kühlfachverdampfereintritt bei Sollwert Kühlfach 6°C und verschiedenen Durchflusseinstellungen

3.2 Einhaltung des Arbeitskennfelds eines Kompressors

Im Rahmen einer Neuentwicklung eines Gerätes mit Kühlfunktion wurde die Kühleinheit als teil-redundantes Doppelaggregat umgesetzt. Die beiden Aggregate sind baugleich mit einer Drosselkapillare ausgestattet. Als Kältemittel wird R600a eingesetzt. Die Kühleinheit soll ein in sich geschlossenes Raumvolumen temperieren. Die entzogene Wärmeenergie wird über die Verflüssiger an die Umgebung abgegeben. Für eine Regelung der Innenraumtemperatur ohne Temperaturschwankungen sorgt eine modulierbare elektrische Heizung. Der Einsatzbereich für die Kühleinheit umfasst zwei markante Anforderungen.

a)     Bei 25°C Raumtemperatur soll der Innenraum auf 4°C gekühlt werden können. Dazu müssen beide Aggregate betrieben werden.

b)    Bei 40°C Raumtemperatur soll der Innenraum auf 37°C temperiert sein und die Kälteanlage auf möglichst hoher Verdampfungstemperatur arbeiten. Es wird nur eines der zwei Aggregate betrieben.

Die beiden drehzahlvariablen Kompressoren sollen mit der Maximaldrehzahl die Bedingung a) und ein Kompressor mit der Minimaldrehzahl die Bedingung b) erfüllen. Trotz der passiv arbeitenden Kapillare sollen die Kompressoren innerhalb ihrer Spezifikation arbeiten.

Das Arbeitskennfeld ist vor allem bei der Bedingung b) kompressorseitig begrenzt. Die Kondensations- und Verdampfungstemperaturen dürfen auf der Minimaldrehzahl nicht über 60°C respektive 10°C liegen. Abgesehen von Verflüssiger, Verflüssigerlüfter und Füllmenge wird die Verdampfungstemperatur auch durch die Restriktivität der Kapillare bestimmt. Zudem hängt die Kondensationstemperatur vom Massenstrom ab, der durch die Kapillarlänge begrenzt wird. Eine restriktive Kapillare würde die Verdampfungs- und Kondensationstemperatur tief halten, sowie die Leistungsfähigkeit des Systems in allen Arbeitspunkten beschneiden.

Entscheidend für die Bestimmung der Kapillare ist daher die Erfüllung von Bedingung a), wenn die Kompressoren auf der Maximaldrehzahl betrieben werden. Die Kapillare muss genügend "gross" dimensioniert werden, sodass die Kälteleistung zur Erreichung des Sollwerts vorhanden ist. Jedoch muss die Verdampfungstemperatur auch unter diesem Aspekt ≤ -5°C gehalten werden.

Bei der Inbetriebnahme des Doppelaggregats wurden zwei Kapillartools verwendet. Das erlaubte die Variation der Kapillare an beiden Aggregaten in 10 Durchflussstufen über einen Bereich von rund 4 – 6 sl/min. Es ermöglichte ebenfalls die zeitgleiche Erstellung eines internen Wärmetauschers mit dem Segment E. Dank der Verwendung der Kapillartools waren für die Kapillarlängen- und Füllmengenbestimmung keine Änderungen an den Kältekreisen notwendig und verschiedene Füllmengen/Kapillaren-Kombinationen konnten in kurzer Zeit getestet werden.

Die Stufe 7 mit 5.2 sl/min erfüllt die Anforderung an die Leistungsfähigkeit des Systems. Sie erreicht bei 25°C Umgebungstemperatur die 4°C im Innenraum mit Leistungsreserve. Dies geschieht bei einer Verdampfungstemperatur von -7°C.

Bei 40°C Umgebungstemperatur und einer Innenraumtemperierung auf 37°C arbeitet der Kältekreis bei einer Verdampfungstemperatur von 7°C und einer Kondensationstemperatur von 59°C. Beide Anforderungen werden mit etwas Marge erfüllt, so dass gewisse Durchfluss- und Füllmengentoleranzen in der Serienproduktion zu verkraften sind. Innerhalb eines Tages konnten im Schnitt fünf verschiedene Durchflussstufen getestet werden. Mit einem herkömmlichen Ansatz durch Auswechseln der Kapillare hätte schätzungsweise eine Variante pro Tag getestet werden können.

Bild 11: Messung des konfigurierten Kapillartools für den Anwendungsfall "Arbeitskennfeld"

4. Zusammenfassung

Das Kapillartool eröffnet neue Möglichkeiten für einen effizienten Entwicklungsprozess für Kältekreise mit einem breiten Betriebsbereich und einer Kapillare als Drosselorgan. Ebenso kann es für verschiedene experimentelle Untersuchungen und Analysen eingesetzt werden. Der Aufbau des Tools ist kompakt. Es lässt sich auch in kleinen Bauräumen einbinden und beeinflusst die Füllmenge des Kältekreises nur in sehr geringem Masse (ca. 0.5 g). Die mit dem Kapillartool ermittelte Durchflussspezifikation kann 1:1 in die Fertigung eines Kapillarrohrs übertragen werden.

Das Kapillartool besteht aus einem Fixteil und einem Schieber, in welchen ein Ein- und Auslasssegment sowie x Stufensegmente von Kapillaren eingebracht sind. Je nach Relativversatz zwischen Fixteil und Schieber entsteht eine sequenzielle Verschaltung von Einlasssegment, Stufensegmenten und Auslasssegment. Pro Schaltstellung ergibt sich damit ein Durchflusswert. Die Konfiguration des Kapillartools erfolgt durch die Wahl der Segmentlängen und -innendurchmesser und der Anzahl von Stufensegmenten.

Der Einsatz des Kapillartools bei einem Kühlschrank zeigte die Auswirkung der Herstellertoleranz für Kapillaren auf das Betriebsverhalten des Geräts. Ausgehend von der Baseline (0%) mit Regelung auf einen KF-Sollwert von 6°C, sinkt bei einem Durchfluss von 5.2% die GF-Temperatur um 0.1 K und die Aufnahmeleistung steigt um 7%. Bei einem Durchfluss von +6.5% steigen GF-Temperatur um 1.2 K und die Aufnahmeleistung um 3% an.

Das Tool erwies sich in einem weiteren Projekt als sehr hilfreich, um zwei gegensätzliche Anforderungen an einen Kältekreis mit Kapillaren zu erfüllen. Die "maximale Kälteleistung"-Anforderung erfordert eine wenig restriktive Kapillare, während die vom Kompressor zulässigen maximalen Kondensations- und Verdampfungstemperaturen eine gewisse Begrenzung des Durchflusses erfordern. Es war möglich, die Kapillaren in 10 Stufen zu variieren und damit verschiedene Füllmengen/Kapillaren-Verhältnisse ohne jegliche Umbauten am Kältekreis zu testen. Die Testzeit für die Kapillarendefinition war mit diesem Ansatz gegenüber einem iterativen Ansatz (mit Umbauten) um schätzungsweise Faktor 5 kürzer.

Literatur

[1]            Xiande, L. (2010) Apparatus of air conditioner for matching capillary tubes (CN201666699U). https://worldwide.espacenet.com/patent/search/family/043267658/publication/CN201666699U?q=pn%3DCN201666699U

[2]            An, J., Liang, G., Shi, Z., Wang, Q., Wie, S., Zhou, J. (2014) Capillary matching device (CN203785344U). https://worldwide.espacenet.com/patent/search/family/051321522/publication/CN203785344U?q=CN203785344U

[3]            Qiao, G., Wang, R., Wang, Y., Zhang, Z. (2019) Tool for determining target capillary tube (CN110160288A). https://worldwide.espacenet.com/patent/search/family/067640161/publication/CN110160288A?q=CN110160288A

[4]            Zhang, W. (2017) Dynamic length regulation device for refrigeration capillary tubes (CN107388645A). https://worldwide.espacenet.com/patent/search/family/060354154/publication/CN107388645A?q=CN107388645A

[5]            Bless, F., Vetsch, B. (2017) MonteCarlo-Simulation – Wirkung der statistischen Streuung von Einzelparametern auf die Gesamteffizienz eines Kühlschranks. Interner Bericht für die V-ZUG Kühltechnik AG.

 

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